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Von den Sunflower-Gesprächen und neuen Gesellschaftsentwürfen

von Sascha Jabali-Adeh

Vanessa und Sascha haben eine Einladung der Sunflower-Foundation wahrgenommen und sich auf eine einwöchige Reise begeben….

Zuerst ging es nach Tübingen, die Stadt mit der „jüngsten Bevölkerung Deutschlands“ und dementsprechend vielen interessanten Initiativen. Anlass dieser Einladung waren einerseits Vernetzung, das Weitergeben von Impulsen sowie das Einsammeln von Inspirationen, andererseits aber vor allem auch die „Sunflower-Gespräche“, die in Tübingen stattfanden. Die Sunflower-Foundation hat es sich zur Aufgabe gemacht, über die „kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Hintergründe, Zusammenhänge und Veränderungen von Geld zu informieren“. und darum geht es auch in diesen Gesprächen.

Wir sind deshalb Teil davon, weil wir uns seit mehreren Jahren mit der Frage auseinandersetzen, wie das derzeitig vorherrschende, Geld-vermittelte, destruktive und zum Wachstum gezwungene Wirtschaftssystem überwunden werden kann. In die Gespräche bringen wir vor allem unsere Erfahrungen mit Lösungsansätzen aus der Praxis ein. Sehr viele unserer Projekte wie die essbare Stadt, unsere Gärten und Äcker, die Schenk-Box, die Saatgutfeste usw. sind Versuche, „geldlogikfreie Kreisläufe“ und Alternativen zur „totalen Verwertung“ zu etablieren. Auch vielen anderen Erde-Initiativen liegt dieser Zugang gedanklich zugrunde.

Insgesamt 12 Menschen aus Wissenschaft und Praxis waren Teil dieses Treffens, wovon einige auch ein gemeinsames, interdisziplinäres Buch schreiben. Darin soll aus den verschiedensten Perspektiven auf die Frage eingegangen werden, ob es einen anderen gesellschaftlichen Umgang mit dem Geld oder ob es geldfreie Wirtschaftsformen braucht, um die umfassenden Krisen lösen zu können, in denen wir uns derzeit global befinden.

Gleich am ersten Abend unserer Reise lauschten wir einem von der Initiative „Insel mit Hafen“ organisierten Vortrag von Eske Bockelmann zum Thema „Wohnen und Geld". Eske gab in dem Vortrag auch einen Einblick in sein Ende Februar im Verlag „Matthes & Seitz Berlin“ erscheinendes Buch mit dem Titel: «Das Geld: Was es ist, das uns beherrscht». Wir freuen uns schon sehr auf dieses Buch, weil wir hoffen, dass es durch seinen revolutionären neuen Blick auf die Entstehung und das Wirken der "Übermacht" Geld, die über unser aller Leben bestimmt, eine breite Diskussion anregen kann.

Zur weiteren Inspiration durften wir auch einige lokale Projekte besuchen, die bereits vom „üblichen“ Umgang mit Geld abweichen. Ecki und Eva gaben uns einen Einblick in ihre Gemüseproduktion mit der sie eine solidarische Landwirtschaft mit ca. 250 Mitgliedern versorgen. Sie erzählten uns auch eindrücklich, dass sich ihr Leben und ihr Tätigsein veränderte, seit sie jene Menschen, für die sie das Gemüse anbauen, auch persönlich kennen und von ihnen ein „Grundeinkommen“ beziehen, anstatt in ständiger Ungewissheit zu leben, ob der Verkauf an den anonymen Markt genug zum (Über)Leben abwirft.

Auch die lokale Food-Sharing-Initiative zeigte uns ihre Abläufe und die (Un)Mengen an Lebensmitteln, die sie täglich retten können. In Tübingen gibt es in der ganzen Stadt sogenannte „Fairteiler“, wo die Lebensmittel nach Abholung bei den Supermärkten hingebracht werden. Was uns besonders beeindruckte: Sogar im Tübinger Rathaus gibt es so eine Verteil-Stelle für gerettete Lebenmittel.

Marc vom „Mietshäusersyndikat“ lud uns in das „4-Häuser-Projekt“ ein, um uns das Konzept dieser solidarischen Wohn-Form näher zu erklären. Mittlerweile gibt es in Deutschland schon mehr als 150 solcher Wohnprojekte, die zum „Mietshäusersyndikat“ gehören und sich um leistbaren, selbst-organisierten Wohnraum und solidarisches Wirtschaften bemühen.

Im Keller eines solchen alternativen Wohnprojekts trafen wir dann Agath, die uns den dort befindlichen „Schenk-Laden“ und die Philosophie dahinter erklärte. Da wir mit der „Schenkbox“ und den „Wandelzellen“ ähnliche Initiativen betreuen, konnten wir uns auch über Erfahrungswerte angeregt austauschen.

Überhaupt fanden wir in Tübingen viel vor, dass wir auch selber machen bzw. was wir im Villacher Gemeinderat beantragt haben. So gibt es z.B. nicht nur Mitfahrerbänke, sondern Samstags auch „freien, öffentlichen Verkehr“. Die Stadtregierung steht alternativen Wohnprojekten grundsätzlich positiv gegenüber und unterstützt sie daher auch in der Entstehung und Abwicklung. In sehr vielen dieser Wohnprojekte gibt es eigene Schenk-Regale und/oder Räume.

Wir durften bei Sigi und Gottfried wohnen, die auch in einem solchen Haus leben, alle Exkursionen organisierten und Mitinitiatoren der vorher erwähnten „Insel mit Hafen“ sind. Gleich neben ihrem Haus im „Französischen Viertel“ gibt es auch eine „Wagenburg“, in der rund 150 Menschen in Bussen und „Tiny-Häusern“ leben, auf einem Grund, den ihnen die Stadt verpachtet.

Wir hatten in diesen Tagen in Tübingen sowohl bei den Exkursionen als auch bei den Gesprächsrunden gute Gelegenheiten, die Gruppe, die sich diesem Buchprojekt widmet, näher kennenzulernen und Grundlegendes zum Buch zu klären. Die Vorfreude auf das „Schreiben“ ist groß – wir werden bezüglich des Buch-Projekts weiterhin berichten und am Laufenden halten.

Von Tübingen aus ging es dann weiter nach Zürich, wo wir auch wieder sehr interessante Menschen und Initiativen kennenlernen durften.

So trafen wir zB. Jasmin von „Transition Town Zürich“ im L200, einem Co-Working-Space, der von mehreren Initiativen gemeinsam genutzt wird. In Zürich sieht die Transition-Initiative ihre Aufgabe vor allem im „Sichtbarmachen“ der vielfältigen, bereits vorhandenen Gruppen/Projekte/Initiativen. Hierzu wurden z.B. für 8 Stadtteile - sogenannte Quartiere - eigene „Wandel-Stadtkarten“ erstellt, auf denen sowohl Orte als auch Beschreibungen zu den Projekten zu finden sind.

Anschließend ging es in das „Kalkbreite“-Haus, wo uns Fred in einer „privaten“ Führung hinter die Kulissen dieses beeindruckenden Projekts blicken ließ. In der „Kalkbreite“ leben rund 300 Menschen, die sich sowohl große Gemeinschaftsräume und Großküchen als auch z.B. Gefrier- und Wasch-Räume teilen, um dadurch Wohnraum und den ökologischen Fußabdruck zu verringern und zugleich die Lebensqualität zu steigern. Eine Bedingung, um einziehen zu können war beispielsweise, dass man eine „Auto-Verzichts-Erklärung“ unterschreibt. Einigen ist dieses außergewöhnliche Wohnprojekt vielleicht aus dem Film „Zeit für Utopien“ bekannt – wer neugierig geworden ist, dem empfehlen wir jedenfalls, sich das Projekt näher anzusehen.

Gemeinsam mit Fred ging es dann wieder zurück ins L200, wo sich eine Gruppe von Menschen traf, die sich gemeinsam darum bemüht, das nächste Groß-Wohn-Projekt ins Leben zu rufen - „nena1“. Unter den Anwesenden war auch der unter dem Pseudonym „P.M.“ bekannte Autor des Buches „Bolo´bolo“, von dem sich viele der bereits vorhandenen Wohnprojekte inspirieren ließen. Wir hatten auch kurz die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen, und haben das Buch „Die andere Stadt“ sowie einige Broschüren geschenkt bekommen, mit denen wir viele Impulse und Inspirationen mit nach Hause bringen.

Am letzten Tag unserer Reise wartete ein weiteres Highlight: Wir waren ins Money-Museum in Zürich eingeladen, um an einem Workshop von Simon Sutterlüti und Stefan Meretz teilzunehmen, die unter anderem die Autoren des Buches „Kapitalismus aufheben“ sind und auch beim „Commons-Institut“ mitwirken.

Der Workshop baute auf ihren Theorieansätzen auf, mit denen sie mögliche Wege hin zu einer herrschaftsfreien Gesellschaft eröffnen, und regte dadurch zur eigenen Utopie-Vorstellung an. Wir hatten auch die Gelegenheit, uns nach dem Workshop mit den Beiden unter anderem über www.nach-dem-geld.de - ein weiteres spannendes Projekt, an dem sie beteiligt sind - auszutauschen und haben vor, miteinander in Kontakt zu bleiben.

Zuhause wieder angekommen, blicken wir dankbar auf eine unglaublich spannende, erfahrungsreiche und inspirierende Woche zurück. Wir freuen uns, dass wir so viele neue Ideen und Impulse mitnehmen konnten und von den Erfahrungen lieber Menschen, die sich mit gesellschaftlicher Transformation befassen, lernen durften. Wir fühlen uns unglaublich gestärkt. Einerseits, weil uns die Reise wieder einmal vor Augen geführt hat, dass es bereits viele, viele Menschen sind, die sich aktiv darum bemühen, alternative Gesellschaftsentwürfe zu entwickeln. Andererseits, weil wir uns in unseren Ansätzen und Bemühungen bestätigt fühlen und noch viel greifbarer wurde, dass andere Lebensweisen möglich sind. Wir befinden uns bereits mitten im Wandel, lasst ihn uns gemeinsam gestalten.

Danke.

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