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Wohnungsmangel oder -mythos?

von Lennart

Der Villacher Bau-Boom auf dem Prüfstand – zwischen Mangel und Spekulation

In Wahlkampfzeiten ist der „Stopp der willkürlichen Verbauung“ jeder Partei ein Herzensanliegen. Doch wie steht es wirklich um den sorgsamen Umgang mit der Ressource Boden in unserer Stadt? Profitieren wirklich die Mieter:innen und Hauskäufer:innen von den vielen Bauvorhaben, wie so oft behauptet wird?

Nachstehend findet ihr unsere Erkenntnisse aus den aktuellsten Zahlen zu Österreichs Wohn- und Bauwirtschaft, heruntergebrochen auf Villach. Daraus ergibt sich, dass wir in Villach klar ein Überangebot an Wohnungen haben. Trotzdem ist der Wohnraum alles andere als günstig und leistbar – im Gegenteil. Wir können daraus ein klares Ziel ableiten: Der bestehende Leerstand muss erhoben und analysiert werden. Ansonsten befindet sich die Stadtplanung weiter im Blindflug. Mit der Folge, dass auch die letzten fruchtbaren Grünflächen überflüssigen Neubauprojekten zum Opfer fallen. Der Leerstand und ungenutztes Bauland im Innenbereich müssen in Nutzung gebracht werden.


Villach wie so oft „Spitzenreiter“

Wie wir schon vor einigen Monaten aufgezeigt haben, ist Villach kein Musterschüler was die Flächeninanspruchnahme angeht. Unter den 15 größten Städten Österreichs haben wirdirekt nach St. Pölten und Wiener Neustadt – die dritthöchste Flächeninanspruchnahme pro Kopf (1). Dabei haben wir als alpines Bundesland weit weniger Boden für Ackerbau und Gebäude zur Verfügung. Neben den unverhältnismäßig großen, ebenerdigen Geschäften und Parkplatzanlagen am Stadtrand (Beispiel Maria Gailer Straße), spielt in den letzten Jahren vor allem die Wohnbautätigkeit dabei eine große Rolle.

Wohneinheiten je 1000 EinwohnerDie aktuellsten Daten zum Bestand von Wohnungen der Statistik Austria (2) zeigen dabei für die Kärntner Städte ebenfalls ein beachtliches Ergebnis. Nach Klagenfurt verfügt Villach über die mit Abstand meisten Wohneinheiten je 1.000 Einwohner unter den 15 größten Städten Österreichs. Dies bedeutet, dass wir bereits seit vielen Jahren über eines der größten Angebote an Wohnungen verfügen. Villach hat in den letzte Jahren zwar ein Bevölkerungswachstum von ca. 600 Personen pro Jahr, allerdings übersteigt der angebotene Wohnraum diese wachsende Nachfrage. Villach hat mit ähnlich vielen Einwohnern wie Wels, um 6.000 Wohneinheiten (18 %) mehr als die Stadt an der Traun.

Doch trotz des Bau-Booms in Villach steht nicht genug leistbarer Wohnraum zur Verfügung. Dass eine hohe Bautätigkeit und viele Wohnungen automatisch zu sinkenden Preisen führen, kann mit den vorliegenden Daten von Statistik Austria klar widerlegt werden. Wir möchten mit diesem faktengestützten Artikel dazu beitragen Sachlichkeit in die emotionale Diskussion zu bringen und aufzeigen, dass die Zerstörung unserer Natur – wie sie aktuell betrieben wird – hauptsächlich der Profitmaximierung einiger weniger dient.

Höhere Mieten und Wohnungspreise trotz Bau-Boom

Die steigenden Immobilienpreise sind nicht von der Hand zu weisen: Gemäß Statistik Austria sind die Preise für Wohnungen und Häuser in Villach zwischen 2015 und 2020 um 43 % bzw. 47 % gestiegen! (3)

Es ist hierbei wichtig hervorzuheben, dass gerade in Villach die Bautätigkeit nur in geringem Ausmaß dem gemeinnützigen Bereich zuzurechnen ist. Einer aktuellen Studie aus dem Jahre 2021 zu Folge (4), dominiert in der Draustadt die gewerbliche Bautätigkeit klar das Geschehen. In der selben Studie wird festgestellt: „Seit 2017 kamen deutlich mehr Wohnungen auf den Markt, als aufgrund der Bevölkerungsentwicklung benötigt worden wären.“

 

Ursache liegt in der Finanzwirtschaft

Wenn man diese Entwicklung jedoch in einen globalen Kontext setzt, gibt es eine sehr viel logischere und einfachere Erklärung, als einen plötzlich ausgebrochenen „Mangel an Wohnraum“ der von einigen Parteien beschworen wird. Als Resultat der Finanzkrise 2008, leben wir seitdem in einem Null-Zins-Umfeld. Dies bedeutet zum einen, dass es für Sparer:innen keine Kapitalerträge mehr auf dem Konto gibt, zum anderen „billiges Geld“ für Investoren. Und das wird zu einem großen Teil in Immobilien im sogenannten „Premiumsegment“ gesteckt, denn hier sind die größten Renditen zu erwarten. Die Preise für Wohnungen sind dadurch künstlich in die Höhe getrieben worden. Momentan lohnt es sich sogar, leerstehende Wohnungen als Anlageobjekt zu halten, ohne dass überhaupt jemand darin wohnt. Wohnungen sind nicht nur zur Ware, sondern zum Finanzprodukt geworden.

Immobilienpreise Wohnraum

(Quelle: Eurostat)

Deutlich sichtbar wird dies, wenn man sich die Immobilienpreise der letzten Jahre im gesamten OECD-Raum ansieht. Während diese dort zwischen 2010 und 2020 um rund 40 % angestiegen sind (5), betrug die Steigung in Österreich gar 80 % (6).

Auch wenn diese künstliche Blase in den nächsten Jahren einmal platzt, ist der ökologische und soziale Schaden bereits angerichtet. Denn: Die zerstörten Grünflächen unserer Stadt bleiben zerstört. Auch wenn der Wert der Spekulationsobjekte sinkt. Die Ergebnisse eines solchen Prozesses waren in den Folgejahren der Krise in Südeuropa und den USA zu bestaunen: Bauruinen und riesige leerstehende Wohnprojekte.

 

Was ist zu tun?

Jetzt ist es an der Zeit konkrete Maßnahmen zum Thema in die Wege zu leiten. Bereits in der letzten Periode haben wir drei Anträge zu einem besseren Leerflächenmanagement eingebracht, diese wurden jedoch nie auf die Tagesordnung gesetzt. Weswegen wir sie erneut einbringen werden. Die Kehrtwende der SPÖ bei diesem Thema lässt uns auf eine konstruktivere Zusammenarbeit in der Zukunft hoffen.

Eine Leerstandserhebung ist die Basis und Entscheidungsgrundlage für weitere Schritte in der Mobilisierung von Leerstand. Nicht nur leerstehende Wohnungen, auch brachliegenden Flächen sollten letzten Endes erfasst werden. Mit einer soliden Datengrundlage kann ein neues Prüfungsverfahren in die Wege geleitet werden. Dieses soll der Nutzung von Leerstand und brachliegendem Bauland dienen. Stellt ein Bauwerber einen Antrag auf Umwidmung von Grünland in Bauland, prüfen die Beamten des Magistrats folgende Punkte und legen die Ergebnisse dem Gemeinderat vor:

entsprechen 1. leerstehende Gebäude, 2. bereits versiegelte Flächen oder 3. bereits als Bauland gewidmete Flächen dem Zweck des Projekts?

ist dies alles nicht der Fall, gibt es aussagekräftige Argumente für das öffentliche Interesse am Bauprojekt die schwerer wiegen als das öffentliche Interesse an unverbauten Grünflächen?

Gleichzeitig soll eine Stelle zur Vermittlung dieser ungenutzten Gebäude und Flächen geschaffen werden. Diese Leerstandsvermittlung kann auf Grundlage der Prüfung aktiv zwischen in Frage kommenden Grundstücksbesitzer:innen und dem Bauwerber vermitteln. Als letzten Schritt ist auch eine Gebührenreform zu überlegen, die den Bau auf Grünland nicht mehr zur kostengünstigsten Option macht. Denkbar sind hier in letzter Konsequenz Leerstandsabgaben auf der einen Seite und Vergünstigungen von Kanal- und Abwassergebühren, Müllentsorgung etc. sowie einer Förderung von Revitilasierungsmaßnahmen für jene Projekte die nicht auf der grünen Wiese realisiert werden.


Antrag Bodeninformation: https://www.verantwortung-erde.org/wp-content/uploads/2020/03/Antrag_Bodeninformationen.pdf

Antrag Bodenvermittlung: https://www.verantwortung-erde.org/wp-content/uploads/2020/03/Antrag_Bodenvermittlung.pdf

Antrag Bodengebühren: https://www.verantwortung-erde.org/wp-content/uploads/2020/03/Antrag_BodenGebuehren.pdf


QUELLEN:

    1. Das Umtweltbundesamt empfiehlt für einen Vergleich zwischen Städten die Flächeninanspruchnahme pro Kopf heranzuziehen. Villach hat nach Wien die zweitgrößte Fläche Österreichs,liegt gleichzeitig bei der Einwohnerzahl auf Platz 7. Der absolute Anteil von Waldflächen, Äckern und Wiesen bzw. Bauland und Verkehrswege etc am gesamten Stadtgebiet ist daher nicht aussagekräftig. Die Aussage, Villach wäre zu „79%“ grün“ ist deshalb aus unserer Sicht der Versuch von Greenwashing. Ausführlich hierzu in diesem Artikel von uns: https://www.verantwortung-erde.org/kommentar-von-gerald-zu-den-vorwuerfen-der-spoe-an-verantwortung-erde/

    2. Statistik Austria (https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/wohnen/gebaeude_und_wohnungsregister/bestandsdaten/index.html)

    3. https://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_NATIVE_FILE&RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=113035

    4. https://www.exploreal.at/magazin/aktuelle-studie-zu-wohnbauprojekten-kaernten-vergleich-mit-der-steiermark

    5. Quelle OECD (https://stats.oecd.org/viewhtml.aspx?datasetcode=HOUSE_PRICES&lang=en#)

    6. Quelle EuroStat (https://ec.europa.eu/eurostat/data/database?node_code=prc_hpi_a)

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